Diego

Ich schiebe die Palmblattmatte vor meiner Strandhöhle beiseite und begrüße den neuen Morgen. Die Sonne scheint, das Meer rauscht leise, die Luft riecht würzig. Es verspricht wieder ein guter Tag zu werden.
Auf einmal sehe ich nur etwa zehn Meter entfernt eine schwache Bewegung. Ein Hund liegt dort und schaut mich jetzt an. Sein Fell hat fast die gleiche Farbe wie der Sand, so ist er kaum von seiner Umgebung zu unterscheiden. Etwas scheint mit ihm nicht zu stimmen, er wirkt krank und hilflos, wie er da liegt. Vorsichtig nähere ich mich seiner ausgestreckten Gestalt. Er hebt den Kopf, zeigt seine Zähne und knurrt verhalten.

»Ho, mein Guter, sachte. Ich will dir doch nichts Böses«, rede ich beruhigend auf ihn ein. Wie ich näherkomme, kann ich sehen, dass sein rechter Vorderlauf blutig und offenbar verletzt ist. Da braucht wohl jemand meine Hilfe. Ich setze mich zu ihm. Wieder hebt er den Kopf und knurrt, doch ich streiche ihm nur sacht über die Flanke und entspanne sacht seinen Kopf. Er lässt es geschehen. Jetzt kann ich mir sein Bein genauer ansehen. Es gibt einen kurzen blutigen Riss und als ich es behutsam abtaste, kann ich den Bruch fühlen. Der Knochen ist leicht verschoben. Dagegen sollte ich etwas tun können.
Schnell hole ich aus meiner Behausung meine kleine Tasche. Darin habe ich Verbandszeug. Von einem herumliegenden Palmblatt schneide ich den Stiel ab. Der Hund beobachtet mich die ganze Zeit, lässt mich nicht aus den Augen. So ausgerüstet setze ich mich wieder zu ihm. »Du musst jetzt tapfer sein, mein Lieber. Bitte beiße mich nicht, ok?« Nur ein dumpfes Knurren ist zu vernehmen, ich nehme es als Zustimmung. Ganz sachte nehme ich seinen Vorderlauf in meine Hände. Als ich ihn fester packe, gibt er ein Winseln von sich. Als ich an dem Bein ziehe, kann ich spüren, wie der Knochen zurückschnappt. Ein kurzes Aufheulen, das in ein leises Winseln übergeht. Seine Rute schlägt heftig hin und her. Das hat ja schon mal gut funktioniert, jetzt noch die Wundbehandlung und dann schienen. Kokosöl ist dazu gut geeignet, es wirkt desinfizierend und ich kann die Wunde damit reinigen. Ich klebe ein Pflaster über den Riss. Dann schneide ich den halbrunden Stiel zu und lege zwei Teile um die verletzte Stelle. Die umschließen das Bein bis auf wenige Millimeter. Nun noch einen festen Verband herum und es sollte gut sein. Ich hoffe, dass er den Verband nicht wieder runterreißt.
Als ich fertig bin, streichel ich ihn und rede beruhigend auf ihn ein. Nach einiger Zeit leckt er über meine Hand und schaut mich mit einem Blick an, den man dankbar nennen könnte. Der arme Kerl ist bestimmt durstig, wer weiß, wie lange er da schon liegt. Jedenfalls macht er sich gierig über die Schüssel mit Wasser her, die ich ihm bringe. »Ich lass dich jetzt einen Moment allein, du und ich, wir brauchen was zu essen, nicht wahr?« Lillys Restaurant öffnet gerade. Ich erzähle ihr von meinem Patienten und frage sie, ob sie Küchenabfälle für ihn hat. Inder mögen zwar Hunde nicht besonders, aber Lilly ist eine gute Frau und erfüllt meinen Wunsch. Nachdem ich rasch gefrühstückt habe, gehe ich wieder zurück. Irgendwie hat der Hund es geschafft, näher an meine Höhle heranzukriechen. Er liegt nun dicht davor. Die Fleischreste aus Lillys Küche werden begeistert angenommen. Ich streichel ihn und rede mit sanfter Stimme zu ihm. Er wirkt jetzt entspannt. Zwei Tage liegt er bei mir und ich versorge ihn. Als ich am dritten Morgen aufwache, ist er fort. Ob ich ihn wohl wiedersehe?


Als ich am nächsten Morgen aus meiner Höhle krieche, sitzt er davor und schaut mich mit wachem Blick an. Direkt vor mir liegt ein kleines felliges Etwas. Ich weiß nicht, was das für ein Tier ist, aber es ist offensichtlich von ihm. Er will wohl auf seine Art Danke sagen. Ich glaube, das ist der Beginn einer Freundschaft. »Danke mein Freund, das ist aber lieb von dir«, sage ich zu ihm, währen ich sein Fell zause. Der Verband hat gut gehalten. Er ist schmutzig aber noch an Ort und Stelle. Als ich mich auf den Weg zu Lilly mache, folgt er mir langsam humpelnd. Er legt sich dann außerhalb von Lillys so, dass er mich im Blick hat. Als sie das sieht, meint sie zu mir: »Du hast wohl einen neuen Freund gefunden? Hast du ihm schon einen Namen gegeben?«
Nein, habe ich noch nicht, wie wäre es mit »Diego«? Ich rufe es ihm zu: »Hey Diego, magst du so heißen?« Er legt den Kopf schief und gibt ein heiseres »Cov« von sich. Ok, dann soll das dein Name sein. In den nächsten fünf Tagen finde ich Diego jeden Morgen vor meiner Höhle liegend vor. Dann muss ich aber dringend nach Poona abreisen, mein Geld geht zur Neige. Doch ich will schon bald wieder zurückkehren.

Es dauert dann doch länger, als ich gedacht habe, erst vier Wochen später bin ich wieder in Goa. Als ich nach meiner alten Unterkunft sehe, liegt Diego davor und bewacht sie. Was für ein treuer Kerl. Als er mich sieht, gibt er ein Heulen von sich und stürmt auf mich zu. Als ich auf die Knie gehe, leckt er mir ungestüm über das Gesicht. Immer wieder springt er wie ein junger Welpe um mich herum und ist schier außer sich vor Freude. Ich streichel und zause ihn und freue mich auch ihn wiederzusehen. Der Verband und die Schienen sind fort. Der Riss ist verheilt und kaum noch zu sehen. So wie er rumspringt scheint alles gut geheilt zu sein, na prima. Die nächsten Wochen ist er mein ständiger Begleiter. Nachts schläft er jetzt bei mir in der Höhle. Wir ziehen gemeinsam durch die Lande und er weicht nicht von meiner Seite. Als schließlich die Zeit des Abschieds naht, macht es mir das Herz schwer. Ich kann ihn nicht mit mir nehmen. Er ist an ein freies Leben gewöhnt, da wo ich hingehe, kann er nicht gut leben. Ich muss ihn zurücklassen, wenn es mir auch noch so schwerfällt. Mit Tränen in den Augen verabschiede ich mich von ihm. »Machs gut mein Lieber, ich hoffe, wir sehen uns irgendwann wieder.«
Er hebt seine rechte Pfote und macht: »Cov, Cov«, dabei legt er seinen Kopf schief. Ich vermute, es soll »Auf Wiedersehen« heißen.

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