Rex
Ich erinnere mich noch deutlich an den ersten Hund in
meinem Leben. Es war 1958, mein fünfter Geburtstag war gerade vorbei, als mein
Vater eines Tages mit ihm ankam. Er hieß Rex und war ein schon recht alter
Schäferhund-Rüde mit grauer Schnauze. Er war ein Polizeihund in Pension, den
mein Vater von der Polizei gegen eine Apanage bekommen hatte. Entweder hatte man
versäumt, ihm zu sagen, dass der Hund nicht besonders gut auf Kinder reagierte,
oder er hat es einfach ignoriert. Mein Vater lebte schon immer in der festen
Überzeugung, dass ihm jeder Mensch und jedes Tier zu Willen war, wenn er nur oft
und fest genug draufhaute. Von alledem wusste ich damals nichts, ich war einfach
nur begeistert von diesem riesengroßen Hund mit dem kuscheligen Fell. Nur allzu
gerne wollte ich mit ihm spielen, ihn streicheln und lieb haben. Es war
natürlich nur eine Frage der Zeit, bis das schief ging - das tat es dann auch,
sogar dreimal.
Es waren meine ersten, frühkindlichen Begegnungen mit
Blut und Schmerzen, aber auch mit Verzeihen und Verstehen. Beim ersten Mal kam
ich zusammen mit meiner Mutter vom Einkaufen zu unserer Wohnung zurück. Sie
schloss die Wohnungstür auf und öffnete sie. Rex stand gleich dahinter, ich fiel
ihm überschwänglich um den Hals und herzte ihn mit den Worten: »Hallo mein
Lieber, da sind wir wieder!«
Er konnte mit dieser Sympathiebekundung wohl nichts
anfangen, fühlte sich wohl eher bedrängt und bedroht und schnappte nach mir. Da
unsere Köpfe fast auf gleicher Höhe waren, erwischte er mich voll am rechten
Auge und an der Augenbraue. Ich schrie, Blut spritzte, meine Mutter schrie und
der Hund verschwand schnell in der Wohnung. Meine Mutter warf daraufhin alle
Einkaufstaschen in den Flur, die Tür zu, schnappte sich meine kleine jammernde
Gestalt und rannte die Treppen hinunter, zu einem Arzt in der Nähe. Er gab mir
eine Spritze und nähte meine Wunde. Was danach von den Erwachsenen gesprochen
wurde, weiß ich nicht. Es gab sicher einige Aufregung, aber es änderte sich
zunächst nichts in unserem Zusammenleben.
Ich kann mich an vieles aus dieser Zeit eher emotional
als faktisch erinnern. So erinnere ich mich, dass ich dem Hund weder böse war,
noch übermäßige Angst vor ihm hatte. Ich machte ihm auch keine Vorwürfe. Ich
hatte verstanden, dass meine heftige Begrüßung zu viel für ihn war und konnte
ihm recht leicht die erlittenen Schmerzen verzeihen. In der Zeit danach war ich
anfangs etwas vorsichtiger im Umgang mit ihm. Doch schon bald war der Vorfall
für mich vergessen. Deshalb dauerte es auch nicht allzu lange, bis es den
nächsten schmerzhaften Zusammenstoß gab. Diesmal, versuchte ich, ihn mit
Hundekeksen zu füttern, die er eigentlich ganz gerne mochte. Ich saß bei ihm auf
seiner Decke bei uns im Flur und wollte ihn unbedingt damit verwöhnen. Er wollte
aber nicht, hatte grade keine Lust darauf, drehte immer wieder den Kopf weg. Was
mich aber nicht davon abhielt, ihm immer wieder einen Keks vor seine Schnauze zu
halten und ihm gut zuzureden, wie lecker die doch seien. An irgendeinem Punkt
wurde es ihm dann zu viel und er schnappte wieder nach mir. Diesmal erwischte er
mich an Hals und Kinn, erneut gab es Blut und Tränen. Aber auch diesmal wusste
ich, dass es letztlich meine Schuld war, dass es soweit kommen konnte.
Das dritte Mal hatte ich nicht selbst zu verantworten.
Das ging auf das Konto meines Vaters. An einem Sonntag saß mein Vater, zusammen
mit meinem Onkel, bei uns an der Ecke in seiner Stammkneipe beim Frühschoppen.
Die Beiden saßen an einem Tisch und Rex lag darunter. Meine Mutter hatte mich
geschickt, um sie zum Mittagessen zu holen. Beide Männer waren schon recht
feuchtfröhlich und alberten herum. Mein Vater kam auf die für ihn komische Idee,
die Hundeleine, die auf dem Tisch lag, zu nehmen und den Karabinerhaken an
meinem Hemdkragen zu befestigen. Dann sollte ich Hündchen spielen. Schließlich
krabbelte ich auf allen vieren um den Tisch herum und machte »wuff-wuff«. Das
hat den Rex dann so provoziert, dass er unter dem Tisch hervorschoss und mir
direkt in den Oberschenkel biss. Das gab dann den letzten Ausschlag, dass sich
mein Vater von Rex trennte und ihn zu meinen Großeltern in Ost-Berlin gab.
Sie hatten eine Laube, da konnte er gut bleiben. Wenn
ich mich recht erinnere, wurde er dann krank und starb auch recht bald danach.
Vielleicht wurde es ihm aber auch zum Verhängnis, dass er das Meerschweinchen
meiner Oma totgebissen hatte.
Alle diese Erfahrungen, haben nicht bewirken können, dass ich nun Angst oder
Scheu vor Hunden hatte. Wir sollten später noch einige Hunde haben, und ich habe
sie alle geliebt. Der Nächste sollte gar nicht allzu lange auf sich warten
lassen.
***
hp´17