Das Rauschen im Walde

Das Mondlicht und die Sterne strahlen hell durch die Blätter und Äste um mich herum. Es hat etwas Gespenstisches, Unwirkliches, eine Atmosphäre wie in einer Märchenwelt. Die Hängematte, die auf halber Höhe in einer Baumkrone hängt, pendelt nur ganz gemächlich hin und her. Ein sanftes Schaukeln. Es ist wunderbar entspannend. Tief atme ich die nächtliche Waldluft ein, versuche, feinen Gerüchen nachzuspüren, mich von der Seele des Waldes durchdringen zu lassen. Es ist ein stiller, friedlicher Ort. Das leise Rauschen des Windes, das Wispern der Blätter und nur hin und wieder der Ruf eines Vogels. Gelegentliches Knacken und Rascheln ist vom Boden zu vernehmen, der Atem und der Puls des Waldes.

Immer tiefer sinke ich hinein in diese grünschwarze Welt, die gleich einer Theaterkulisse von einem himmlischen Scheinwerfer beleuchtet wird. Zwei Bäume weiter sehe ich, wie zwei kleine Vögel auf dem Rand ihres Nestes herumhüpfen. Leise kann ich ihr Gezwitscher hören. Ich weiß nicht, was das für Vögel sind, weiß nicht wie sie heißen. Auch was für ein Baum das ist, der mich hier für die Nacht aufgenommen hat, weiß ich nicht. Das muss ich auch nicht wissen. Ich habe ihn Abraham getauft, weil er mir Sicherheit versprach. Und ich habe ihm versprochen, ihm nicht wehzutun. Mein geringes Gewicht belastet ihn kaum.

„Ich habe dir doch gesagt, du sollst immer bei ihm bleiben!“, vernehme ich auf einmal eine leise irgendwie klimpernde Stimme.
„Aber was sollte ich denn machen, es war doch das Wiesel“, antwortet darauf eine ebenso klimpernde wie jammernde Stimme.
„Das Wiesel, das Wiesel! Wahrscheinlich hast du wieder mit deinen Cousinen geschwätzt, statt auf Junior zu achten. Da konnte ja alles passieren“, erklingt es erbost.
Wer ist denn da bloß mitten im Wald und streitet sich? Vom Boden ist keinerlei weiteres Geräusch zu hören, Bewegung ist auch keine zu erkennen. Die Stimmen klingen zwar leise, aber doch nah. Die einzigen Lebewesen, die ich zu erkennen vermag, sind die beiden Vögel, die noch immer aufgeregt herumhüpfen. Zu einem flatternden Rauschen höre ich noch: „Ich suche mal den Boden ab, vielleicht ist Junior aus dem Nest gefallen.“ Gleichzeitig sehe ich, wie einer der Vögel vom Nest nach unten fliegt. Mir kommt die Geschichte vom Dr. Doolittle in den Sinn. Das kann ja wohl nicht möglich sein.
Was haben die mir in das Haschisch gemischt? Nee, den letzten Joint hatte ich schon vorgestern, das kann´s nicht sein. Gespannt warte ich ab, ob ich noch mehr höre. Schon kurz darauf höre ich wieder eine Stimme, jetzt leicht japsend:
„Da unten ... da ist ... er nicht. Nichts ... zu sehen.“
„Oh je, oh je“, wieder das jammernde Stimmchen. Auf einmal höre ich eine etwas lautere, keckernde Stimme von rechts über mir. Dort kann ich jetzt ein Waldhörnchen auf einem Ast sitzen sehen. „Die Eule war`s, die Eule! Natürlich hat die dumme Nuss mit ihren Cousinen getratscht, kek, kek.“
„Och, halt die Klappe Tapsi“, höre ich die beleidigte weibliche Stimme vom anderen Baum.
Mir fällt auf, dass ich die Stimmen nicht außerhalb wahrnehme, da ist noch immer nur das Rauschen des Windes und der Blätter. Ich höre die Stimmen in meinem Kopf, nicht mit meinen Ohren. Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung, davon habe ich als kleiner Junge geträumt. Die Tiere verstehen zu können, womöglich mit ihnen sprechen können. Wenn auch nur in den Gedanken. Wie gerne hätte ich mich mit unserem Herkules unterhalten, meinen Lieblingshund. Jetzt höre ich noch eine weitere tief brummelnde Stimme vom Boden: „Mist, hier waren doch gestern noch diese leckeren Pilze.“
Vorsichtig luge ich über den Rand meiner Hängematte nach unten. Dort sehe ich einen Dachs mit seinem typischen weißen Streifen, am Fuße des Baumes im Boden scharren. „Waren bestimmt wieder diese verfressenen Schweine da“, grummelt es weiter.
„Wer weiß, ob du bald wieder so ein schönes Ei legen kannst“, zetert es von drüben.
„Such dir lieber ´ne andere Henne, eine mit Köpfchen, kek, kek“, keckert es von oben.
„Ich schau´ mal bei der Eiche ...“, brabbelt der Dachs und trottet davon.
Irgendwann bin ich über das Geplapper eingeschlafen. Als ich am morgen aufwache, kommt mir sofort die Erinnerung an die Ereignisse der letzten Nacht. Angespannt lausche ich, ob ich Stimmen hören kann. Doch nur das Geschnatter meiner eigenen Gedanken kann ich wahrnehmen. Gegenüber sitzen noch immer die beiden Vögel in ihrem Nest, doch ich höre nur zwitschern. Verstehen kann ich aber nichts. War es doch nur ein Traum? Es fühlte sich so echt und wahrhaftig an. Aber Gedankenübertragung mit Tieren, kann es so etwas geben? Vielleicht ja doch, wer weiß?


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hp´17