Der Indien-Express von hp '16
Annemarie:
Ich fliege nach Indien!
Ein phantastisches
Angebot, in meiner Situation. Vier Wochen nach Poona! Ich
musste nur noch sehen, dass ich ganz schnell etwas Geld für
den Aufenthalt zusammen bekam. Das war leichter gesagt als
getan, in meinem damaligen Umfeld, gab es keinen, der Geld
genug hatte, um welches verleihen zu können.
Es ist Freitag Abend, morgen soll es losgehen! „Du,
ich kann deine Enttäuschung sehr gut verstehen. Es tut mir
richtig leid für dich.“ Sie überlegt einen Moment, dann sagt
sie “Ich mache dir einen Vorschlag, vielleicht kannst du es
dann doch noch schaffen. Wie wäre es, wenn ich dir den
Hinflug bezahle, und du sorgst für den Rückflug? Ich habe
nicht genug Geld, um zwei Extra-Tickets zu bezahlen, aber
die Hälfte könnte ich noch dazugeben.“ Das wären dann 700.-
Mark für den Rückflug. Woher soll ich die denn auf die
Schnelle bekommen? Keine Chance! Mein Frust bleibt mir erst
mal erhalten.
Ein Anruf bei meinem Vater, brachte mir nur die
Erkenntnis ein, dass ich doch besser nicht hinfliege und den
armen Leuten dort, das letzte Bisschen weg esse. Da hatte
ich keine Unterstützung zu erwarten. Nun denn, nach einigem
Überlegen, komme ich zu dem Schluss, dass nach Indien zu
kommen, ja schon mal das Wesentliche ist. Wie und wann ich
dann zurück komme, steht doch auf einem ganz anderen Blatt.
Notfalls fahre ich mit Botschaftshilfe über Land zurück. Die
Möglichkeit bleibt mir immer noch. Also, was solls! Leben
ist jetzt und hier und heute! Wollen wir nicht den Moment
leben? Ohne Angst vor der Zukunft, ganz im Hier und Jetzt
sein? Ich bin gesund und fit, was soll passieren, was ich
nicht irgendwie handeln kann? Zu jedem Abenteuer bereit,
beschließe ich, dass ein Hinflug-Ticket eine wunderbare
Sache ist. Indien ich komme!
Am nächsten Tag, trafen wir uns alle auf dem
Flughafen Tempelhof, am Air-India Schalter. Annemarie kaufte
noch schnell das Ticket für mich, dann konnten wir
einchecken. Außer ihr, Johanna und mir, war noch Murti mit
dabei, ein anderer Sannyasin. Der Jumbo-Jet war nur etwa zur
Hälfte besetzt, wir hatten alle ausreichend Platz. Annemarie
zu versorgen, war sehr einfach. Sie war ungefähr 1,50 Meter
groß und wog nicht mehr als 40 Kilo. Man konnte sie einfach
unter die Achseln nehmen und eine Stufe hochheben, die sie
alleine nicht bewältigen konnte. Nach einer Zwischenlandung
in Dubai, ging es dann die Nacht durch nach Bombay, wo wir
morgens um 8 Uhr ankamen.
Als ich die Gangway betrat, schlug mir die Hitze wie
ein feuchtes Handtuch ins Gesicht und mir brach sofort der
Schweiß aus allen Poren. „Oh ja, dass ist es!“ Ich liebte
die Tropen, seit ich sie kannte. Ich leide nicht unter der
Hitze, ich genieße sie! Normalerweise, neige ich auch
überhaupt nicht zum Schwitzen, nur der Übergang vom
klimatisierten Flugzeug, hatte das verursacht. Nachdem wir
das Gepäck hatten und die Passkontrolle hinter uns,
besorgten wir ein Taxi. „You want Taxi, Sir?“ „Welcome to
India!“ Wir wollten eins und ließen uns in die Innenstadt
zur Dadar-Station fahren. Dort fuhren Sammel-Taxen, die
lange Strecken fuhren. So gab es auch welche nach Poona. Es
war eine lange Fahrt vom Flughafen. Rechts und links breiter
Straßen, sah man die erbärmlichen Behausungen von Ghettos
entlang der Strecke. In Indien herrscht Linksverkehr, das
war auch erst mal gewöhnungsbedürftig. Genauso wie indische
Taxifahrer! Unaufhörlich plappernd und gestikulierend, jagte
er in halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Kurven.
Dabei unablässig hupend und roten Saft zum Fenster hinaus
spuckend, schimpfte er auf alle, und besonders auf die
Motorrikschas. Vielfältige Gerüche strömten durch die
offenen Fenster, Wärme umgab mich wie in einer Badewanne;
ich war glücklich!
In Dadar-Station angekommen, suchten wir nach einem
Taxi, das uns die knapp 200 Kilometer, nach Poona bringen
würde. Bei einem, fiel mir etwas ins Auge, ich zeigte es
Johanna. „Sieh dir mal die hinteren Reifen von dem Taxi da
an, blank wie ein Kinderpopo.“ „Oh ja, sehr
vertrauenerweckend.“ meinte sie nur. Wir waren uns dann
schnell mit einem Fahrer einig, für 120.- Rupien, würde er
uns nach Poona fahren. Das waren rund 40.- DM für vier
Personen, aus unserer Sicht ein fairer Preis. Ab ging die
wilde Fahrt, raus aus Bombay, immer in Kurven bergauf.
Bombay liegt in einem Talkessel, direkt am Meer. Umso höher
wir kamen, desto besser konnte man diesen Moloch von Stadt
überblicken. Es war ein gigantischer Anblick, eine Stadt wie
ein Flickenteppich, mit tief hängenden Wolken darüber. Die
Luft war schwül dort unten, sie wurde immer besser, mit
jedem Meter, den wir an Höhe gewannen.
Um in Indien am Straßenverkehr teilzunehmen, bedarf
es sehr starker Nerven. Am Besten, man lässt sie sich vorher
entfernen. Unser Fahrer, erwies sich als begeisterter
Sänger. Dazu drehte er sein Autoradio voll auf, um dann noch
lauter mitzusingen. Für mich klang das eher nach schwerer
Diphtherie als nach Gesang. Es gab regen Verkehr und wenn
unser halskranker Caruso, grade mal nicht sang, dann fluchte
er. Ein klein wenig beunruhigend, fand ich es schon, dass
die sogenannten Straßen, keinerlei Begrenzung, so was wie
eine Leitplanke hatten. Vor allem, als wir in gebirgiges
Gebiet kamen und wir seitlich ziemlich tief hinabsehen
konnten. Wir vertrauten wohl alle gerade sehr auf unser
hoffentlich positives Karma. Für mich schien es die richtige
Zeit zu sein, einen indientauglichen Fatalismus auszubilden.
Nur der Feigling stirbt tausend Tode. Ich beschließe
einfach, dass meine Zeit noch lange nicht gekommen ist, ergo
kann mir überhaupt nichts passieren. So mental entspannt,
genieße ich die Fahrt und schaue mir das Land an.
Wir hatten knapp die Hälfte der Strecke hinter uns,
als es einen Knall gab und es einen Schlag tat. Einer der
Hinterreifen war geplatzt. Reifenwechsel und Pinkelpause.
Glücklicherweise, waren wir kurz vor einem kleinen Ort, als
das passiert. Die letzten 200 Meter, fuhren wir langsam
humpelnd in den Ort ein. Dort gab es einen Chai-Shop,
unverzichtbar für Indien-Reisende. Wir versorgten uns alle
mit Erfrischungen. Unser Fahrer holte einen Ersatzreifen aus
dem Kofferraum. Dazu musste er unser gesamtes Gepäck
ausladen. Was dann zum Vorschein kam, sah nicht so aus, als
würde es noch 100 Meter aushalten, geschweige denn 100
Kilometer. Der Fahrer grinste nur, sang fröhlich vor sich
hin und wechselte den Reifen.
Annemarie, die wir erst
vorne auf den Beifahrersitz gesetzt hatten, wollte dann doch
lieber nach hinten. Ich tauschte gerne mit ihr, auch um den
Preis, dem „Gesang“ nun noch näher zu sein. Das hatte aber
den Vorteil, dass ich meine Nase, wie ein Hund, aus dem
Fenster halten konnte. Meine langen Haare flatterten im Wind
und ich genoss einfach dieses Gefühl von Freiheit. Die heiße
Sonne auf meiner Haut, der neue Geruch von Allem, selbst der
Staub, waren mir willkommen. Die Anderen stöhnten, ich
jubelte, wenn auch mehr innerlich. Annemarie wirkte trotz
ihres Alters noch recht munter, wenn auch etwas erschöpft.
Die beiden anderen hingen komplett in den Seilen. Johanna
war es ständig schlecht und sie hatte Kopfschmerzen.
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