Der Indien-Express

von hp '16

Poona:

Knapp vier Stunden brauchten wir für die Strecke. Erleichtert kletterten wir alle aus dem schwarz-gelben Folterkasten. Nur um gleich in den Nächsten steigen zu müssen. Von der Taxi-Haltestelle bis zum Koregaon Park war es noch ein gutes Stück. Annemarie hatte sich über einen Bekannten ein Hotelzimmer in der Nähe reservieren lassen. Dorthin waren wir jetzt unterwegs. Was uns erwartete, war eine ziemlich große, ziemlich alte Villa im Kolonial-Stil. Mitten in einem großen Garten gelegen, fast schon ein kleiner Park, bestanden mit großen alten Bäumen. Annemarie hatte eine kleine Suite mit zwei Zimmern. Nach vorne raus, gab es einen kleinen Erker mit Balkon, dort würde ich heute Nacht erst mal schlafen. Wir waren nun seit fast 24 Stunden unterwegs und rechtschaffen müde. Alle wollten sich hinlegen und schlafen.

Ob von der Aufregung, dem Jet-Lag oder meiner überbordenden Neugier, ich konnte nicht lange schlafen. Nur etwa eine Stunde später, war ich schon wieder hellwach. Es begann gerade zu dämmern, war also noch recht früh. Leise, suchte ich zusammen was ich brauchte und flankte dann einfach über das Balkongeländer. Das war kein Problem, wir befanden uns im Erdgeschoss. Langsam schlenderte ich auf den Ausgang zu. Plötzlich fiel von oben etwas auf mich herab und zappelte an meinem Kopf, in meinen langen offenen Haaren. Ich war total erschrocken, konnte mir gar nicht vorstellen, was das sein sollte. Instinktiv, ging ich in die Knie und tastete nach dem zappelnden Etwas in meinen Haaren. Wie sich herausstellte, war es eine Fledermaus. Die hockten hier zu Dutzenden in den hohen Bäumen. Mit einiger Hilfe von mir, kam sie schließlich frei und flatterte in die Dunkelheit davon. Das Vieh, hatte mir einen Mordsschrecken eingejagt, mein Herz klopfte spürbar.
Welcome to India!

Auf der Straße herrschte ein reges Treiben. Hupende Autos, quäkende Rikschas und immer wieder vereinzelte Rufe von fliegenden Händlern. Ein Stück weiter, sah ich einen Kiosk. Gut, ich brauchte Zigaretten. In einem kleinen Holzverschlag, hockte ein Inder im Schneidersitz, umgeben von zahlreichen Illustrierten und Zeitungen in Hindi und auf englisch. Außerdem gab es eine ganze Reihe von Süßwaren, Zigaretten und Beedies. Direkt vor sich, hatte er zwei Tabletts zu stehen. Auf dem einen, standen etliche kleine Töpfchen, mit undefinierbarem pastösem Inhalt, auf dem anderen lagen ein Stapel großer runder grüner Blätter. Er war gerade damit beschäftigt, auf dem obersten dieser Blätter, mit einem Stab eine weiße Paste zu verteilen. Dann nahm er aus mehreren verschiedenen Töpfchen, jeweils eine Kleinigkeit und schmierte eine nach der anderen, mit großer Hingabe, auf das Blatt. Als er zufrieden schien mit der Mischung, rollte und faltete er das Ganze zu einem kleinen dreieckigen Bündel, um es sich dann im Ganzen in den Mund zu schieben. Nachdem er sein Werk im Mund zurechtgeschoben hatte, nickte er mir breit grinsend zu und nuschelte
„Good evening, Sir. What do you want?“ Wie ich später erfahre, handelte es sich um Panblätter mit Betelnuß-Extrakt und anderen Substanzen. Indiens Volksdroge Nummer eins. Er lud mich ein, es selbst zu versuchen, machte sich sofort eifrig ans Werk. Nur mit Mühe, konnte ich ihn zurückhalten. Ich wollte es bei Nikotin belassen.

Die Temperatur war sehr angenehm, eine richtig lauschige Tropennacht. Inzwischen hatte ich Hunger bekommen und machte mich auf die Suche nach einem Restaurant. Das war recht einfach, davon gab es in dieser Straße einige. Ich setzte mich draußen vor eins und bestellte mir einen Biryani, gebratener Reis mit Gemüse, Huhn und Rosinen. Das bunte Durcheinander von Menschen beobachtend, genoss ich mein Essen und einen Mangosaft. Mango - oh du göttliche Frucht! Wer noch nie einen frischen Mangosaft getrunken hat, weiß nicht, wie das Paradies schmeckt! Nach dem Essen, entdeckte ich das wahre und endgültige Paradies – Mango-Pulp with Cream! Und wenn es das letzte ist, was ich auf dieser Welt tue, diese Schale werde ich bis zum letzten Fitzelchen leer lecken. Ich war so vollgefressen, ich bekam kaum noch Luft. Aber was für eine herrliche Entdeckung. Dafür allein hatte sich der Flug schon gelohnt.

Um 5 Uhr früh, entstand Unruhe im Zimmer und ich wachte auf. Die Anderen machten sich für die Dynamische Meditation fertig, die um 6 Uhr anfing. Meine Sicht, war stark beeinträchtigt, ich konnte kaum etwas sehen. Im Spiegel sah ich warum, ein schöner großer Moskitostich, hatte sich dort ausgebreitet. Mein Lid war völlig zugeschwollen. Da ich nur auf diesem Auge gut sehe, war das ziemlich blöd. Warum um alles in der Welt, musste man so früh am morgen schon meditieren? Immer noch viel zu müde, erklärte ich mich dann doch bereit, Annemarie in den Ashram zu begleiten. Nach einem kurzen Fußweg durch die noch dunklen Straßen, kamen wir im Ashram an. Dort gab es bereits übersprudelndes Leben. Überall rannten Leute herum, allesamt in orangen, rosa bis rostbraun gefärbten indischen Klamotten. Es gab insgesamt drei feste Steinbauten, zwischen diesen waren Holzpfähle aufgestellt, die Baldachintücher hielten, so dass die Zwischenräume später im Schatten lagen.

Um Punkt 6, setzte die Trommel-Musik ein und ungefähr 30 Leute fingen an zu schnaufen und zu prusten, als gäbe es kein Morgen mehr. Mit mir, war morgens um sechs, so überhaupt nichts anzufangen. Ein Problem, das mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Ich bin eine Eule, keine Lerche. Von einem aus der Tür fallenden Licht angezogen, spähte ich hindurch. Sieh da, hier gibt es Frühstück! Ein großer Swami mit langem Bart und bodenlanger Robe, musterte mich ernst, fast streng. Warum ich nicht bei der Meditation bin? Mit den Schultern zuckend, erklärte ich ihm, dass ich so früh noch zu keiner Aktion bereit war. Darauf hin, konnte ich mir von ihm eine lange Predigt anhören, wie wichtig die Meditation für uns ist. Ich hatte inzwischen einen Tee bekommen und ließ seine Worte an mir abperlen. Ich war nicht daran interessiert, von irgendwem belehrt zu werden, was gut für mich ist. Ich will das selbst herausfinden. Warum ich in Indien war? Weil mich das Land und die Leute interessierten. Wie mich alles Fremde und Neue interessiert.

Seit rund zwei Jahren, hatte ich da Kontakt zu den Sannyasins. Mich hatte so einiges interessiert, was ich von dem Bhagwan gelesen hatte. Es waren wohl mehr die psychologischen Aspekte, die er sehr treffend und kurzweilig zu beschreiben wusste, als die esoterischen Themen, die mich interessierten. Im Juni letzten Jahres, hatte ich dann Sannyas genommen. Trug von da an orange Kleidung und die Holzperlenkette mit dem Bild von Bhagwan, die Mala. Außerdem, bekam ich einen neuen Namen. Es stand dabei für mich nie im Vordergrund, dass ich die Erleuchtung anstrebte. Was immer das auch sein mochte. Auch vermochte ich Bhagwan nicht als gottähnliches Wesen, oder auch nur heiligen Mann zu betrachten. Das änderte aber nichts daran, dass ich großen Respekt vor ihm hatte. Ich hielt ihn für einen sehr klugen, möglicherweise sogar weisen Mann. Auf jeden Fall, war er eine sehr charismatische Persönlichkeit. So manches, was ich von ihm las, bestätigte mich in dem, was ich vorher gedacht und empfunden hatte.

Unter den Sannyasins in Berlin, erlebte ich ganz neu das Gefühl von Gemeinsamkeit. Wobei der jeweils Einzelne, immer als das akzeptiert wurde, was er war. Zum ersten Mal, erlebte ich Zwanglosigkeit in Gesellschaft anderer Menschen. Das hat mich stark für sie eingenommen. Doch selbst in dieser zwanglosen Umgebung, wurden mir immer wieder, meine sozialen Defizite offenbar. Das zwischenmenschliche unter den Menschen, war mir noch immer ein Rätsel. Ständig lebte ich in dem Gefühl, dass alle Anderen etwas wussten, was ich nicht wusste. Zuweilen kam ich mir vor wie ein Autist. Ich verstand die Zeichen und Signale nicht, es war wie eine geheime Sprache. Ich hatte sie einfach nicht gelernt.

So war es wohl nicht weiter verwunderlich, dass ich an Meditation nur ein gemäßigtes Interesse hatte. Es gab schon immer wieder Sachen, die mir gut getan hatten, aber für die meisten, fehlten mir die Geduld und die Disziplin. Ich bin nicht so sehr der Yoga-Typ, mehr der Hängematten-unter-Palmen-Typ. Deshalb stand auch mein nächstes Reiseziel bereits fest, Goa!

 

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