Der Indien-Express von hp '16
Goa:
Goa, Paradies am Pazifik. Wie viele Geschichten hatte ich
schon darüber gehört. Allen war die Begeisterung dafür
gemeinsam. Bis in die sechziger Jahre hinein, stand Goa
unter portugiesischer Herrschaft. Dadurch unterschied es
sich auf vielerlei Weise, vom Rest Indiens. Mit einer
überwiegend katholischen Bevölkerung, fand man das überall
dokumentiert. Es gab viele kleine Kirchen, steinerne
Wegkreuze am Straßenrand, oder kleine Schreine mit
Marienbilder, in denen oft auch eine Kerze brannte. Hier aß
man Fleisch in allen Varianten und auch dem Alkohol wurde
fleißig zugesprochen. Während im restlichen Indien, das
trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit verboten war,
trank man hier mit großer Begeisterung, den billigen und
allseits beliebten Coconut-Fenny. Das Gerücht, dass das Zeug
blind macht, konnte ich nicht verifizieren. Ansonsten war es
wie überall sonst in Indien, nur schöner.
Herrliche Strände, weicher, warmer, weißer Sand, nur von
vereinzelten Palmen besäumt. Niedrige massive Steinbauten,
mit weiß gekalkten Wänden und roten Ziegeldächern, die sich
harmonisch in die Landschaft einfügten. Alles mit tropischem
Reichtum begrünt. Chapora-Beach, hieß der Ort, an dem ich
ankam. Ganz am Ende der Straße, stand eine große Baracke. Es
war ein ortstypisches Restaurant, mit langen Holzbänken und
Tischen aus gespaltenen Baumstämmen. Ich suchte mir erst mal
ein stilles Plätzchen um auszuruhen. Nach einer
zwölfstündigen Fahrt, in einem indischen Bus, bei ca. 35°,
da braucht man mal eine Pause. Hier waren es sogar schon 40°
im Schatten, wenn es denn welchen gehabt hätte. Die stete
frische Brise vom Meer, machte es aber sehr angenehm
auszuhalten. Etwas später, wollte ich dann den Strand erkunden. Chapora Beach, ist eine große halbrunde Bucht mit einem sehr ruhigen und warmen Meer. Mir standen zum Vergleich, die Strände von Südafrika vor Augen. Gemessen daran, hatte das Meer hier, das Temperament einer Badewanne. Nach ungefähr 500 Metern, entdeckte ich eine kleine, recht niedrige Bambushütte, mit einer Art Veranda davor. Neugierig näherte ich mich, um dann ein Schild zu entdecken. „Lilly´s Restaurant“ stand darauf. Es war noch recht früh und es waren noch keine Gäste anwesend. Grüßend trat ich ein „Hello, good morning!“ Da begrüßte mich die Sonne ganz Indiens. Lilly kam aus dem hinteren Bereich hervor und strahlte mich an, so dass mir augenblicklich die Seele überlief. Was für eine liebliche Erscheinung!
Nur eine handbreit größer als ein Dackel, von zierlicher Gestalt und mit einem Gesicht, das einen Michelangelo entzückt hätte, schien sie direkt aus einer Bildleinwand gestiegen zu sein. Ich betete sie vom ersten Augenblick an. Leider war sie verheiratet, auch noch mit einem richtig netten Kerl, er hieß Carlos. Er kam dazu und begrüßte mich ebenfalls. Wir machten uns bekannt und waren sehr schnell in ein interessantes Gespräch vertieft. Sie kamen aus einem ca. 3000 Km weit entfernten Ort in Gujarat. Jedes Jahr, kamen sie zur Saison von Anfang September bis Ende Februar. Dann begann auch meist schon der Monsun und sie kehrten nach Hause zurück. Ich fand die Beiden erfrischend sympathisch, mochte sie beide auf Anhieb. Sie gaben auch ein wirkliches hübsches Paar ab, das musste ich neidvoll anerkennen.
Diese Bekanntschaft, sorgte dafür, dass ich Lillys Restaurant zu meiner Basis machte.Unser vertrauensvolles Verhältnis, gab mir die Möglichkeit, meinen Pass und mein Geld in ihrem kleinen Safe zu deponieren. Außerdem konnte ich meine Reisetasche mit dem Schlafsack in einer Ecke abstellen. So war ich von allem Ballast erlöst und konnte mich frei bewegen. Nachts holte ich mir meinen Schlafsack und schlief am Strand, unter freiem Sternenhimmel, mit dem leisen Meeresrauschen als Schlafmusik. Ich glaube nicht, dass ich je besser geschlafen habe.
Das kam meinen Finanzen natürlich sehr entgegen. Ohnehin
schon ziemlich klamm, hätte ich mir ein Hotel gar nicht
leisten können. Von Chapora aus, unternahm ich dann meine
Exkursionen in die nähere Umgebung. Anjuna Beach war
natürlich Pflicht. Der jedes Wochenende dort stattfindende
„Fleamarket“, war legendär. Hippies und Inder aus allen
Landesteilen, versammelten sich dort, um die kuriosesten
Dinge feilzubieten. Man konnte hier so ziemlich alles
Kaufen, was ein Mensch auf Reisen mit sich herumschleppen
mag. Da kommen mitunter Sachen vor, die hält man kaum für
möglich. So fragte ich mich, wer wohl eine Original
Singer-Nähmaschine, einschließlich gusseisernem Tretgestell,
von Deutschland hergeschleppt haben mochte. Drogen wurden
wohl in allen Formen angeboten und konsumiert. Meine Sache
war das nicht, ich hatte mit achtzehn ein paar Mal versucht
zu kiffen, jedes Mal mit dem Ergebnis, das es mir sauübel
wurde. Ich habe dann keine weiteren Versuche unternommen.
Kurz darauf, hörte ich von einem besonderen Ort, den ich
unbedingt besuchen wollte. Arambol hieß er und sollte einen
vierstündigen Fußmarsch von Chapora entfernt sein. Also zog
ich los. Für den Chapora River, brauchte ich noch eine Fähre
zum übersetzen. Dann ging es immer am Strand entlang, unter
glühend heißer Sonne. Man hatte mir empfohlen, möglichst
früh loszugehen, mit gutem Grund. Zwei kleinere Flüsse
konnte ich durchschwimmen, dann war ich irgendwann da.
Wobei, wo ich ganz genau war, war mir noch längst nicht
klar. Alles was ich sah, waren ein paar einsame Fischerboote
und dann etwas zurück ein paar Häuser zwischen den Bäumen.
Es war inzwischen Mittag geworden und der gesamte Ort war
gespenstisch still, nirgendwo rührte sich etwas.
Gelegentlich sah man ein Huhn oder auch einen Hund sich
träge bewegen. Schließlich entdeckte ich einen Chai-Shop,
oder zumindest so etwas ähnliches. Ein Kramladen, würden wir
in Berlin sagen. Die Tür war offen.
Drinnen war es erst mal finster, als ich eintrat. Als sich
meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, konnte ich
erkennen, dass die Wände und unter der Decke, alles voll
hing, mit allen möglichen Waren. „Hello!“ rief ich in den
Raum hinein. Keine Reaktion. Nochmal: „Hello, somebody
there?“ Wieder keine Reaktion. Na gut, dachte ich mir, warte
ich halt. Ich sah eine Kühltruhe und fand ein paar
Colaflaschen darin. Na also, mein Tag war gerettet. So
versorgt, suchte ich mir ein schattiges Plätzchen und machte
es mir gemütlich. Es dauerte gar nicht besonders lange, da
tauchte eine Frau mittleren Alters auf. Wahrscheinlich
wollte sie herausfinden, welcher Trottel da um die
Mittagszeit so herumschreit.
Verschlafen sieht sie mich an „You want something, Sir?“
„Oh, yes please. I am hungry, have you got anything to eat?“
frage ich sie. „Not much“ meint sie „Only Samosas and some
Subji. Ich schaue mir das Subji an, eigentlich ein
Erbsengericht, aber jetzt taugt es nur noch um Kanaldeckel
damit abzudichten. Die Samosas, das sind kleine gefüllte
Teigtaschen, sehen aus, als wären sie noch zu Zeiten Ghandis
hergestellt worden. Eine ganze Palette mit Eiern entdecke
ich. „Ah, you´ve got eggs, can you fry me some?“ „Yes Sir,
how do you like?“ „I like scrambled eggs, please. Make three
of them“ „No have scrambled eggs, Sir.“ Da bin ich dann doch
etwas erstaunt, dass sie keine Rühreier hat. „How comes?“
muss ich sie dann auch fragen „What eggs do you have?“ war
ich interessiert zu wissen. „Only fried eggs, Sir!“ Ich
wollte sie dann auch nicht weiter überfordern und
akzeptierte die Spiegeleier. Gesättigt, erkundigte ich mich
nach dem Weg zum Arambol Lake.
Sie zeigte mir, wo ich lang musste und ich versorgte mich
noch mit einigen Grundnahrungsmitteln und Getränken. Dort am
See, gab es keinerlei Einkaufsmöglichkeit, alles musste vom
Dorf herangeschafft werden. Das war nicht ganz so einfach,
wie ich kurz danach feststellte. Um zum See zu kommen,
musste man einen steilen schmalen Felssims durch die Felsen
an der Küste entlang. Ein Fehltritt, würde ziemlich tief
hinab zwischen aufgetürmte Felsen führen. Nach ungefähr
500-600 Metern klettern, erreichte ich schließlich die
andere Seite und die Sicht öffnete sich auf den See.
Es war wirklich ein fantastischer Ort, alle Lobeshymnen
wert. Der See lag ungefähr hundert Meter vom Meer entfernt
in einem kleinen Talkessel, dessen steile Wände ihn in
sattem Grün umfingen. Direkt in der Mitte plätscherte ein
kleiner Wasserfall in den See hinein. Sein Wasser war
glasklar und man konnte einige Fische darin schwimmen
sehen.Es gab einen sandigen Bereich rund um den See und dann
vereinzelte Bäume. Ich suchte mir einen schönen großen Baum
aus und richtete mich dort ein. Es waren schon einige Leute
vor Ort. Wie ich so nach und nach mitbekam, hatten sich
einige von ihnen rechts und links vom Wasserfall in der
Böschung eingerichtet. Am Abend, bei Einbruch der
Dunkelheit, wurde ein großes Feuer angezündet. An dem
versammelten sich alle. Es zeigte sich, dass mehr Leute dort
lebten als erst zu erkennen war.
Rund zwei Dutzend Leute saßen später um das Feuer herum.
Jeder hatte irgendetwas zum Essen mitgebracht und alle
kochten etwas. Eine Frau hatte Mehl von allen eingesammelt
und backte Chapattis auf einem Stück Eisenblech.
Irgendjemand, hat Fische und Krebse gefangen, die stückweise
verteilt wurden. Sogar eine ganze Bananenstaude war
vorhanden. Das Leben war gut in Arambol! Eine Woche blieb
ich dort. Es war wahrscheinlich eine der schönsten in meinem
Leben. Nur ungern, verließ ich mein kleines Paradies. Leider
hatte ich nur noch wenige Tage in Goa, ich musste nach Poona
zurück. Nach Chapora zurückgekehrt, konnte ich Lilly und Carlos dabei helfen, ihren Chai-Shop abzubauen. Das war ein recht cleveres System, lediglich aus Bambuspfosten und geflochtenen Palmblatt-Matten bestehend. Die Matten wurden aufgerollt, die Pfosten gebündelt und das Ganze dann irgendwo, bis zum September eingelagert. Carlo, der Koch, hatte noch zwei große Kisten, die er mitnehmen wollte. Es war ein fröhlicher Abschied, ich wusste ganz genau, dass ich bald wiederkommen würde.
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